
VeRliebt Am GranD CanyOn
Wings of the West Buch 3

Arizona-Territorium
Am Grand Canyon stellt sich Emma Hart einer ungewissen Zukunft – und der Begegnung mit Texas Ranger Nathan Blackmore.
Im Jahr 1877 reist Emma Hart zu dem erst kürzlich entdeckten rauen, zerklüfteten Grand Canyon. Geplagt von Visionen sucht sie dort nach Antworten zu der Tragödie in ihrer Vergangenheit, dem Verrat in der Gegenwart und nach einer Zukunft, die so fern und unerreichbar scheint und trotzdem ihr Herz zum Klingen bringt. Mit übersinnlichen Fähigkeiten begabt und begleitet von ihrem Krafttier, einem Spatz, will Emma die Traditionen der Hopi erkunden und muss sich dabei dem buchstäblich jahrhundertealten Bösen stellen.
Texas Ranger Nathan Blackmore folgt Emmas Spuren bis zum Colorado River und ist fassungslos, als er sieht, dass sie den Fluss mit einem Kanu erkunden will. Für ihn ist klar, dass sie diese Reise auf keinen Fall allein antreten wird. Doch während der Fahrt auf dem Fluss zu einem Ort, an dem die Zeit stillzustehen scheint und selbst der kleinste Stein große Kreise zieht, muss er eine Entscheidung treffen. Entweder er akzeptiert das Unbekannte, die Welt jenseits der unseren, und stellt sich den Dämonen seiner Vergangenheit, oder er wird die Frau, die er inzwischen mehr liebt als sein Leben, für immer verlieren.
Ein (über)sinnlicher historischer Western-Liebesroman vor der atemberaubenden Kulisse des Grand Canyon.
Erhältlich als E-Book und Print-Ausgabe.
Rezensionen
„Die Leser werden die Geschichte lieben …“ ~ RT BookReviews
„McCaffreys Geschichten sind historisch akkurat … ein phänomenaler Lesegenuss, ich lege das Buch allen ans Herz, die historische Liebesromane mit dem gewissen Extra mögen.“ ~ Jonel Boyko, Reviewer
„Die Legenden der Hopi und Havasupai haben in McCaffrey eine neue Stimme gefunden. Ihr mitreißender Stil machte die mystische Reise ihrer Protagonistin in ein anderes Reich glaubhaft. Ich konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen und habe es an einem Abend gelesen.“ ~ City Sun Times
kapitel eins

Arizona-Territorium
Fort Lees Ferry
- August 1877
Frauen fällt das Lügen so leicht.
Permelia und Samantha Johnson, Ehefrauen des Fährmanns Warren Johnson, schüttelten die Köpfe und reichten Nathan Blackmore die Fotografie zurück. Angeblich wussten sie also nichts über den Verbleib von Emma Hart, der jungen Frau, die darauf abgebildet war.
Nathan war klar, dass sie ihn anschwindelten, doch er musste sich in Geduld üben und sich eine Taktik überlegen, mit der er die beiden Mormonenfrauen zum Reden bringen würde. Im Moment war er nach der verdammt langen Reise, bei der ihn auf dem letzten Stück ein Navajo-Führer begleitet hatte, vor allem müde und überaus schmutzig. Nathan befand sich quasi am Ende der Welt, und doch hatte er nur einmal mehr ein glühend heißes Höllenloch gegen ein anderes getauscht – Texas war nicht so viel anders als dieser gottverlassene Landstrich, außer dass es hier Wasser gab.
Wasser im Überfluss.
Den Colorado River.
Das dunkelblaue Band hatte ihn aus der Ferne gelockt und weckte in ihm den beinahe unwiderstehlichen Wunsch, sich ans Ufer zu stellen, um seiner uralten Kraft nachzuspüren. Flüsse hatten schon immer eine große Faszination auf ihn ausgeübt, von der er nicht loskam. Und er hatte sich geschworen, den mächtigen Strom wenigstens einmal von Nahem zu sehen, bevor er weiterzog. Wenn er Glück hatte, würde Miss Hart ihm dabei Gesellschaft leisten.
Vielleicht würden sich die beiden gottesfürchtigen Frauen mit Bibelsprüchen überzeugen lassen. Aber Nathan war nicht religiös und kannte sich damit genauso wenig aus wie mit Gebeten. Den Glauben an Gott hatte ihm seine Ma gründlich genug ausgetrieben.
Einschüchterungsversuche würden wahrscheinlich auch keinen Erfolg zeitigen, obwohl sie sichtlich Angst vor ihm hatten. Sah er tatsächlich so bedrohlich aus? Er hatte sich ein paar Tage lang nicht rasiert und war größer als die meisten Männer. Nachdenklich schaute er zu seinem Pferd, einem pechschwarzen Hengst von beeindruckender Statur. Ja, vermutlich machten sie zusammen einen ziemlich Furcht einflößenden Eindruck.
Verdammt, ich habe keine Zeit für so etwas. Black brauchte eine Verschnaufpause und Nathan ebenso. Sein Freund Matt schuldete ihm für all diese Strapazen einen wirklich großen Gefallen.
Aus dem Inneren der kleinen Hütte drangen Kinderlaute zu ihnen, was Nathan als Zeichen deutete, dass er wahrscheinlich nicht mehr Informationen von den Damen erhalten würde. Wenn er die Kinder erschreckte, hatte er schnell auch noch Mr Johnson am Hals, auch wenn der im Moment nirgendwo zu entdecken war. Nathan vergriff sich nicht an Unschuldigen.
Unschuldige. Was, wenn die Johnsons Emma Harts Aufenthaltsort nicht aus reiner Nächstenliebe verschwiegen? Die Leute waren Mormonen – in ihrem Leben drehte sich alles um ihren Glauben und die Familie, mehrere Ehefrauen waren üblich –, doch das bedeutete nicht, dass sie nicht auch zu kriminellen Handlungen fähig waren. Ein verlässlicher Hinweis hatte Nathan hierhergeführt, an die einzige Stelle weit und breit, an der man den Colorado River überqueren konnte. Die Mormonen nutzten den flachen Fährkahn regelmäßig auf ihren Reisen zwischen Utah und dem Arizona-Territorium. Und da Miss Hart vermutlich auf dem Weg dorthin war, musste sie hier vorbeigekommen sein.
In der Ferne knallte ein Schuss.
Die beiden Mrs Johnsons zuckten heftig zusammen und starrten ihn aus großen Augen an.
Volltreffer.
Wenn Frauen logen, brauchte man auf die Schwierigkeiten nicht lange zu warten.
„Gehen Sie im Haus in Deckung.“ Erleichtert, weil er das Verhör damit beenden konnte, lief Nathan zu seinem Pferd, das er an einer Pappel angebunden hatte. Er zog die Winchester aus dem Holster am Sattel.
Seine Sinne reagierten instinktiv auf die drohende Gefahr und den möglicherweise bevorstehenden Kampf. Bei den Texas Rangers hatte er die hohe Kunst der Geduld erlernt, und bei der Army das Kämpfen. Beides zusammen hatte dafür gesorgt, dass er die vergangenen zehn Jahre überlebt hatte.
„Ruhig, Black.“ Nathan legte seinem treuen Gefährten eine Hand auf den Hals. „Darum kümmere ich mich allein.“
Mit einem Ohr lauschte er auf weitere Schüsse oder sich nähernde Personen, während er routiniert seine Munition überprüfte. Mit genügend Patronen ausgerüstet, zog er seine Hutkrempe ein wenig tiefer und ließ die kleine Farm hinter sich. Noch nie zuvor hatte er erlebt, dass jemand einen derart entlegenen Ort gewählt hatte, um sich mit seiner Familie dort niederzulassen. Der Außenposten bestand lediglich aus der Hütte, in der es nur einen Raum gab, einem Holzschuppen und einem erst halb fertiggestellten zweigeschossigen Wohnhaus im Tal. In der näheren Umgebung befanden sich Felder und Weideland, auf dem einige Tiere grasten. Der Paria River, ein Fluss von ansehnlicher Größe, sorgte dafür, dass sich die Pflanzen in sattem Grün zeigten. Dennoch musste die Abgeschiedenheit den Siedlern wohl nicht selten zu schaffen machen, so weit, wie man hier von jeglicher Zivilisation entfernt war.
Nathan nutzte die Deckung des Unterholzes, um sich zum Zusammenfluss von Paria und Colorado River vorzuarbeiten. Sein weißes Hemd klebte ihm an Schultern und Rücken, denn die sengende Sonne brannte auf alles nieder, was nicht von wertvollem Schatten geschützt wurde. Er hatte ungefähr eine Viertelmeile hinter sich gebracht, als weitere Schüsse die friedliche Stille des Nachmittags durchbrachen. Rasch versteckte sich Nathan hinter dem dicken Stamm einer großen Weide und legte das Gewehr an.
Sein Blick schweifte über den Paria River zum mächtigen Colorado River, und für einen kurzen Augenblick stockte ihm der Atem. Die starke Strömung ließ kleine Schaumkronen auf der Oberfläche tanzen; die schiere Menge an Wasser strahlte eine ungeheure Erhabenheit aus. Unweigerlich spürte man die Gefahr, die von dem Fluss ausging, doch Nathan wurde urplötzlich von einer Sehnsucht erfasst, die ihn beinahe in die Knie zwang. Er wollte diesen Fluss erkunden.
Die Schüsse verhallten, aber Nathan blieb weiterhin in Deckung.
Am sandigen Ufer des Colorado River standen drei Männer mit dem Rücken zu ihm. Sie waren mit Revolvern oder Pistolen bewaffnet und fuchtelten damit nachlässig durch die Luft, während sie jemanden im Wasser anbrüllten. Allzu kampferprobt sahen sie nicht aus, und das konnte Nathan durchaus zu seinem Vorteil nutzen. Die Männer ballerten erneut wild herum und einer rannte stromabwärts. Seine Bewegungen wirkten ungelenk, als hätte der Kerl erst gestern festgestellt, dass er seine Beine auch für solch eine Ertüchtigung nutzen konnte.
Nathan zog sich zurück und watete ein Stück in den Paria River hinein, um einen besseren Blick auf denjenigen zu erhaschen, der sich darin befand. Langsam bewegte er sich hinter den Rücken der beiden anderen Männer auf den Colorado River zu, verhielt jedoch mitten im Schritt, als er endlich an ihnen vorbeischauen konnte.
Eine Frau – erkennbar an dem langen, kastanienbraunen Zopf, der ihr über eine Schulter fiel – saß in einem großen Boot und ruderte wie eine Wahnsinnige. Nur wenn eine Kugel über ihren Kopf hinwegpfiff, hielt sie kurz inne und duckte sich. Ein Hut mit breiter Krempe beschattete ihr Gesicht, dennoch hegte Nathan keinen Zweifel an ihrer Identität.
Miss Emma Hart.
Die Frau, der er seit drei Wochen auf den Fersen war und die er bislang nur von einer verblassten Fotografie kannte. Eine Fotografie, die er in letzter Zeit viel zu oft betrachtet hatte.
Er hatte sie endlich gefunden, doch lange hielt seine Erleichterung darüber nicht an.
Miss Hart war flussabwärts unterwegs. Allein.
Ihm blieb nicht viel Zeit, denn schon bald würde er sie aus den Augen verlieren – wenn sie nicht einer dieser drei Dummköpfe vorher erschoss.
Ohne zu zögern, rannte Nathan auf die beiden Männer am Ufer zu und schlug einen von ihnen mit dem Gewehrkolben nieder. Als der andere Mann ihn mit dem Arm abwehren wollte, rammte Nathan ihm ein Knie zwischen die Beine und hielt ihn dann am Boden fest, indem er die Winchester quer über seine Kehle legte und zudrückte. Der Mann japste und ruderte mit den Armen hilflos durch die Luft. Nathan verpasste ihm einen gezielten Schlag, durch den er das Bewusstsein verlor.
Der dritte Mann stürmte auf ihn zu. Mit einer schnellen Bewegung rollte Nathan sich zur Seite, um der Kugel zu entgehen, die der Kerl auf ihn abfeuerte. Er wollte ihn nicht töten, deshalb zog er seinen Revolver aus dem Beinholster und verpasste dem Mann lediglich eine Kugel in die Schulter. Sein Ziel ging prompt zu Boden.
„Ich bin getroffen! Oh Gott!“, schrie der Mann schmerzerfüllt auf. „Bitte legen Sie mich nich’ um! Reggie? Hersch? Helft mir!“
Nathan kam auf die Beine, sammelte die Waffen der beiden Bewusstlosen ein und warf sie in den Fluss. Dann ging er zu dem Mann hinüber, der sich von einer Seite auf die andere wälzte. Selbst durch die Stiefel hindurch konnte Nathan die Hitze des Sandes spüren, daher musste es ziemlich unangenehm sein, auf dem Boden zu liegen. Beinahe bekam er Mitleid mit dem Kerl und seinen Kumpanen – aber auch nur beinahe. Zu leicht hätte eine verirrte Kugel Miss Hart treffen können.
Auch die Waffe des Verletzten landete im Wasser. Ein Blick flussabwärts zeigte ihm, dass die Frau das Geschehen beobachtete, während sie weiter flussabwärts trieb. Ihr Gesicht jedoch war aus der Entfernung nur schwer auszumachen.
Nathan ließ den stöhnenden Mann liegen. „Davon werden Sie schon nicht sterben“, meinte er im Vorbeigehen. „Sorgen Sie dafür, dass die Blutung gestoppt wird, und halten Sie die Wunde sauber.“ Wild gestikulierend lief Nathan Miss Hart hinterher. „Halt! Kommen Sie ans Ufer!“ Er hoffte, dass sie noch genug Kraft hatte, um das Boot durch die Strömung zu ihm zu bringen.
Sie sah in seine Richtung, machte allerdings keine Anstalten, seiner Aufforderung Folge zu leisten, sondern prüfte nur von Zeit zu Zeit die Richtung, in die das Boot glitt.
Nathan kletterte über einige große Steine, umrundete ein paar weitere und rannte dann einen Sandstreifen entlang, bevor ihn ein steil abfallender Felsvorsprung daran hinderte, ihr weiter zu folgen.
„Miss Hart! Emma Hart! Ich muss mit Ihnen reden!“
Sie griff nach den Rudern, und Nathan atmete erleichtert auf, in der Annahme, dass sie endlich zu Verstand kam und sich auf den Weg zu ihm machte. Gleich darauf entfuhr ihm ein leiser Fluch, weil sie prompt in die Gegenrichtung steuerte. Er warf einen Blick zu der Stelle, an der Black auf ihn wartete.
Ein Mann sollte sich niemals zwischen seinem Pferd und einer Frau entscheiden müssen.
Dafür bist du mir einen Riesengefallen schuldig, Matt.
Entnervt warf er erst seinen Hut zu Boden, dann die Winchester ins nächste Gebüsch, wo sie gut verborgen war. Seinen Revolver steckte er wieder ins Holster und hoffte, dass er ihn nicht verlieren würde, bevor er das Boot erreichte. Die Waffe wäre dann zwar nass und damit für ein oder zwei Tage unbrauchbar, aber sein Überlebensinstinkt verhinderte, dass er sich diesem Unterfangen unbewaffnet stellte. Bevor er sich doch noch umentscheiden konnte, marschierte er zum Fluss und sprang kopfüber hinein.
Das Wasser war eiskalt, und seine Muskeln versteiften sich. Nur mit Mühe konnte er sich an der Oberfläche halten, während die Strömung ihn mit sich riss. Er konzentrierte sich auf seine Arme und bewegte sich vorwärts. Wärme breitete sich langsam in seinen Gliedern aus, und mit zunehmend kräftigeren Schwimmzügen hielt er auf Miss Hart und ihr Boot zu. Das sture Frauenzimmer ruderte weiterhin von ihm weg.
„Ich will nur mit Ihnen reden“, rief er. Außerdem musste er aus dem Wasser raus, bevor er nicht mehr gegen die Strömung ankam.
„Halten Sie sich von mir fern.“ Ihre Stimme klang fest und nachdrücklich, aber er vernahm auch den Hauch von Angst, der darin mitschwang.
Er schwamm weiter auf sie zu. Aus dem Augenwinkel konnte er den Namen am Heck ihres Bootes erkennen: Paradise. Unwillkürlich fragte er sich, ob hier wirklich das Paradies auf ihn wartete. Rasch griff er nach der Seitenwand, bevor sie den Kahn von ihm weglenken konnte. Sie zog eines der Ruder aus seiner Führung, schwang es in seine Richtung und traf ihn am Kopf, als er versuchte, sich an Bord zu hieven.
„Zum Teufel noch eins!“ Nathan fiel wieder ins Wasser und schaffte es nur mit Mühe, sich an der Holzplanke festzuhalten. Das hier war ganz sicher nicht das Paradies. Was in aller Welt hatte er sich dabei gedacht, dieser Frau hinterherzujagen? Er rieb sich den Kopf, doch der Schmerz wollte nicht weichen.
„Miss Hart, ich habe Nachricht von Ihrer Schwester“, quetschte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Sie hatte bereits zu einem erneuten Schlag ausgeholt, doch nun hielt sie mitten in der Bewegung inne. Nathan nutzte ihr Zögern, um sie mit einem kräftigen Ruck am Boot aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sie schrie auf und landete nicht gerade anmutig auf dem Boden des Kahns. Rasch schwang sich Nathan über die Seitenwand ins Boot.
Miss Hart fing sich jedoch schnell wieder und fasste erneut nach dem Ruder, das ihr Nathan dieses Mal jedoch ohne Schwierigkeiten entwand. Ihr Blick verriet schon, was sie vorhatte, noch ehe sie nach dem zweiten Ruder griff, das auf der anderen Seite des Bootes in seiner Halterung hing. Nathan zog es schnell an sich und brachte es so außerhalb ihrer Reichweite.
„Raus aus meinem Boot.“ Sie fixierte ihn von der gegenüberliegenden Seite des schwankenden Kahns aus.
Nathan musterte die mutige Frau vor sich. In ihren blauen Augen konnte er, außer Angst, vor allem wilde Entschlossenheit lesen. Gegen sie wirkte der Colorado River auf einmal fast harmlos.
„Ich will Ihnen nichts tun.“ Die Worte kamen ihm deutlich verärgerter über die Lippen, als er beabsichtigt hatte, doch hinter seiner Stirn hämmerte es immer noch schmerzhaft. „Setzen Sie sich besser hin, bevor Sie noch ins Wasser fallen.“
Sie beugte sich jedoch nach unten und wühlte in einem ledernen Beutel herum. Nathan erkannte, dass sich mehrere davon sicher verstaut und festgebunden am Boden des Boots befanden. Das sah nach reichlich viel Ausstattung für eine kleine Ruderpartie aus. Zu spät erkannte Nathan, wonach Miss Hart gesucht hatte.
Sie zog einen alten Remington aus seinem Versteck und richtete den Revolver auf ihn. Das Boot wurde stetig weiter von der Strömung in den Canyon getragen, und obwohl sie Schwierigkeiten hatte, das Gleichgewicht nicht zu verlieren, hielt sie die Waffe sicher in der Hand. Nathans Bauchgefühl sagte ihm, dass sie durchaus Ahnung davon hatte, wie man sie benutzte. Ihre Beharrlichkeit nötigte ihm Respekt ab. Er hatte sie ganz offensichtlich unterschätzt.
„Her mit der Waffe“, forderte sie ihn auf.
„Sie ist nass. Das macht sie ohnehin nutzlos.“
Wortlos richtete sie den Revolver zwischen seine Beine.
Ein Mann sollte wissen, wann er verloren hatte. Nathan löste die Schnalle des Holsters und legte es auf den Boden.
„Wer sind Sie?“, fragte sie.
„Nathan Blackmore.“
„Woher wissen Sie, wer ich bin?“
„Ich war auf der Suche nach Ihnen. Ich komme im Auftrag Ihrer Schwester.“
Das schien die Frau stutzig zu machen. „Ich habe ihr nie gesagt, wohin ich wollte. Wie haben Sie mich gefunden?“
Nathan verstand ihre Verwirrung, zögerte jedoch mit einer Erklärung, während sie eine potenziell geladene Waffe auf einen Teil seines Körpers richtete, den er gerne unversehrt behalten würde. Gut möglich, dass keine Patronen in der Trommel waren, aber er wollte lieber kein Risiko eingehen.
„Ich gebe Ihnen mein Wort. Ich werde Ihnen nichts tun, also könnten Sie bitte die Waffe weglegen, damit ich Ihnen alles erklären kann?“
Miss Hart verharrte reglos; ein Ausdruck von Unschlüssigkeit huschte über ihr Gesicht. Nathan hatte sich ihre Züge auf dem langen Ritt von Texas hierher eingeprägt, die Fotografie wurde der jungen Frau indes kaum gerecht. Sie war wirklich hübsch – was jedem Mann auffallen würde, der tagelang allein durch die Wildnis geritten war –, aber vor allem ihre Augen zogen ihn in ihren Bann. In ihnen lag eine Ernsthaftigkeit und Tiefgründigkeit, die die Fotografie nicht hatte einfangen können. Diese hatte ein junges Mädchen gezeigt, doch die Frau vor ihm war eindeutig erwachsen und schien auf eine nicht greifbare Weise reifer zu sein, als sie sein sollte.
Neben den unendlich hohen Felswänden des Canyons wirkten sie beide winzig und ihre Auseinandersetzung bedeutungslos. Emma Hart war hingegen alles andere als bedeutungslos.
Langsam senkte sie die Waffe.
Nathan holte tief Luft. Ihm war gar nicht bewusst gewesen, dass er den Atem angehalten hatte.
Sie beäugten einander, während das Boot langsam weiter flussabwärts driftete und die Sonne allmählich hinter der westlichen Wand des Canyons verschwand, wobei sie die Felsen auf der linken Seite anstrahlte. Aus dem Augenwinkel nahm Nathan den atemberaubenden Anblick wahr, doch er wusste selbst nicht genau, ob er dabei an die grandiose, von Wind und Wasser geschaffene Landschaft dachte oder an die Frau vor ihm.
Alles hat sich verändert.
Der Gedanke kam wie aus dem Nichts.
„Ich habe keine Nachricht von Mary“, sagte Nathan und bezog sich damit auf Miss Harts ältere Schwester. „Ich habe Nachricht von Molly.“
Ihre Augen verengten sich, und Wut loderte in ihrem Blick auf. Nathan befürchtete, dass sie erneut die Waffe auf ihn richten und ihn dieses Mal wirklich erschießen würde.
„Was haben Sie gesagt?“, fragte sie. Ihr Ton klang gefährlich leise. Das überraschte ihn, denn obwohl sie erstaunlich viel Durchhaltevermögen und Biss bewiesen hatte, wäre ihm das Wort „gefährlich“ sicher nicht in den Sinn gekommen, hätte er sie wohl kaum als gefährlich beschrieben. Nun dachte er jedoch, dass sie eines Tages eine Mutter sein würde, die ihren Nachwuchs unerbittlich verteidigte. Das Bild übte einen gewissen Reiz auf ihn aus.
„Ich bin aus Texas hierhergekommen. Matt Ryan ist ein Freund von mir. Sie erinnern sich noch an die Ryans, oder?“
Sie starrte ihn unverändert misstrauisch an. Das interpretierte er als ein Ja.
„Vor zehn Jahren wurden Ihre Eltern bei einem Überfall auf die Ranch Ihrer Familie in Texas getötet“, fuhr er fort. „Ihre ältere Schwester Molly wurde entführt und angeblich von den Comanche umgebracht. Aber die Leiche, die man gefunden hat, war die eines anderen Mädchens.“ Er hielt inne und versuchte sich vorzustellen, wie man sich wohl fühlte, wenn jemand, den man lange tot geglaubt hatte, plötzlich wieder zum Leben erwachte. Wie würde er sich wohl fühlen, wenn er erführe, dass sein Vater all diese Jahre am Leben gewesen wäre, anstatt ertrunken auf dem Grund des Mississippi zu liegen?
Sein Tonfall war mitfühlend, als er ihr die Nachricht überbrachte, die ihre Welt mit Sicherheit aus den Angeln hob. „Molly lebt.“
Miss Hart stand stocksteif da – ihr Gesicht war zu einer ausdruckslosen Maske erstarrt. Wie in Trance ließ sie sich auf die Sitzbank sinken und legte die Waffe neben sich ab. Das Rauschen des Flusses füllte die Stille, und das Zwitschern der Vögel hallte von den Wänden des Canyons wider. Trotz ihrer offensichtlichen Überraschung nahm sie das Ganze recht gut auf.
Als sie schließlich zum Sprechen ansetzte, trug der Wind ihre Stimme wie ein leises Wispern zu ihm herüber. „Ich hab’s immer gewusst.“





