VeRliebt In New MeXicO

Wings of the West Buch 2

Übersetzt von Anja Kwiatkowski

New-Mexico-Territorium
1877

Die Enttäuschung trifft Ex-Deputy Logan Ryan schwer, als er Claire Waters inmitten einer quirligenStadt am Santa Fe Trail wiedersieht. Die Frau, an die er sich erinnert, ist verschwunden und an ihre Stelle ist eine betörende Bardame getreten, die ihn in die größten Schwierigkeiten bringen kann. Als Claire in ein Netz aus Intrigen gerät, gesponnen von gefährlichen Männern, versucht Logan sie zu beschützen. Doch er erkennt nicht, dass seine eigene Vergangenheit die größte Bedrohung für sie darstellt.

Claire hat ein Leben in Schande geführt und ist entsetzt, als sie, gekleidet wie eine Dirne, Logan im White Dove Saloon begegnet. Sie lässt zu, dass er das Schlimmste von ihr denkt. Da ihre Mutter, die Besitzerin des Saloons, verschwunden ist, bleibt ihr jedoch nichts anderes übrig, als sein Hilfsangebot anzunehmen. Verzweifelt bemüht, ihr Leben in Ordnung zu bringen, begibt sie sich mit ihm auf die Reise. Dabei stellt sie fest, dass die Versuchung, Logan ihr Herz zu öffnen, sie in größere Gefahr bringen kann, als sie für möglich gehalten hat.

Erhältlich als E-Book und Print-Ausgabe (Amazon).

Rezensionen

„… eine wundervolle Beschreibung des Sangre-de-Cristo-Gebirges, von Las Vegas im späten 19. Jahrhundert und der Ranch der Ryans. Die Rezensentin fühlte sich beim Lesen in diese Zeit und an die beschriebenen Orte versetzt.“
~ Love Romances

 

„Ms McCaffrey schreibt aus dem Herzen … definitiv eine Leseempfehlung.“
~ The Romance Studio

 

„Wenn Sie Liebesromane, die im Wilden Westen spielen, mögen, dann sollten Sie dieses Buch lesen.“
~ Romance Junkies

kapitel eins

New-Mexico-Territorium

Juli 1877

 

„Die Huren da drüben sind aber hübscher.“ Der zahnlose Mexikaner deutete mit einem breiten Grinsen die Pacific Street hinauf.

 

 

Irritiert band Logan Ryan sein Pferd an dem Balken vor dem zweistöckigen Gebäude fest, über dessen Eingang jemand in schwungvollen weißen Lettern „WHITE DOVE SALOON“ auf den roten Untergrund gemalt hatte. Er setzte einen Fuß auf die unterste Stufe der ausgetretenen Treppe und stemmte lässig die Hände in die Hüften.

 

Claire Waters konnte sich unmöglich an einem solchen Ort aufhalten.

 

Vielleicht hatte der nach Whiskey stinkende Mexikaner ihn missverstanden. Du suchst nach einer Waters? , die findest du da. Logan war sich jedoch sicher, dass der Mann auf den „White Dove Saloon“ gezeigt hatte.

 

Erschöpft schob er sich den Hut in den Nacken. Das geschäftige Treiben auf der staubigen Straße nahm in der hereinbrechenden Dämmerung deutlich zu. Zigarrenqualm und lautes Stimmengewirr drangen aus dem Saloon nach draußen.

 

Las Vegas war eine lebhafte Stadt, die letzte auf dem Santa Fe Trail, bevor man Santa Fe erreichte. Hier kamen die unterschiedlichsten Menschen zusammen – Viehhändler, Kaufleute, Rancher und Soldaten aus Fort Union –, weswegen sich auch zahlreiche Saloons und Tanzbars angesiedelt hatten. Vielleicht hatte der Mexikaner einfach angenommen, dass Logan auf der Suche nach ein wenig Spaß und Unterhaltung war.

 

Die recht unwahrscheinliche Aussicht, Claire Waters hier wiederzusehen, hielt seine Müdigkeit in Schach, und er stieg die Treppe hinauf. Er war so schnell wie möglich hergekommen und hatte nur einen kurzen Zwischenstopp in Fort Sumner eingelegt, um sich nach Lester Williams zu erkundigen. Dieser hatte Claire ursprünglich nach Hause begleiten sollen, nachdem sie für kurze Zeit bei Logans Familie auf der SR-Ranch gewohnt hatte.

 

Als Lester in einem Telegramm seine schwere Erkrankung mitgeteilt hatte, war Logan umgehend aufgebrochen. Der alte Mann hatte so viele Jahre für die Ryans gearbeitet und gehörte quasi zur Familie. Zu Logans Erleichterung war Lester bereits auf dem Wege der Besserung und würde schon bald wieder so weit genesen sein, dass er nach Texas zurückkehren konnte. Über zwei Wochen hatte das Fieber Lester ans Bett gefesselt, und Logan befürchtete, dass Claire ebenfalls krank sein könnte. Möglicherweise siechte sie in genau diesem Augenblick an einer mysteriösen Krankheit dahin.

 

Die Schwingtüren des Saloons flogen laut knarrend auf. Logan konnte nur einen flüchtigen Blick auf schwarze Seide und nackte Haut werfen, bevor die Frau mit ihm zusammenstieß. Ein Hauch ihres süßlichen Parfüms wehte ihm entgegen, doch noch ehe er sie festhalten konnte, plumpste sie auf den Boden.

 

Logan musterte sie. Mit ihren üppigen Kurven und dem verführerischen Dekolleté verdrehte sie den Männern sicher reihenweise den Kopf. Auch wenn er sich eigentlich nicht mit Barfrauen einließ, erschien ihm der Gedanke plötzlich durchaus reizvoll. Erstaunlich reizvoll, wie er feststellen musste. Er beugte sich zu der jungen Frau hinunter, um ihr aufzuhelfen. Offensichtlich war sie eine der hübschen Huren, die der Mexikaner erwähnt hatte.

 

„Tut mir leid, Miss. Ist alles in Ordnung?“ Er warf einen Blick Richtung Eingang, um sicherzugehen, dass ihr kein lüsterner Gast dicht auf den Fersen war.

 

Als die Frau den Kopf hob und er in ihre grünen Augen sah, traf ihn der Blitz der Erkenntnis. Erschrocken schnappte er nach Luft.

 

„Claire?“, fragte er fassungslos. Die schwarzen Haare waren schuld, dass er sie nicht gleich erkannt hatte. Claire Waters’ langes Haar war weizenblond gewesen.

 

Ihre Augen weiteten sich. „Logan? Was machst du denn hier?“ Panik stand ihr ins Gesicht geschrieben.

 

„Ich suche nach dir.“ Er unterdrückte das bittere Gefühl von Enttäuschung, das in ihm aufstieg. Ihre freizügige Kleidung und das veränderte Aussehen waren ein deutlicher Hinweis darauf, dass sie nicht die stille und zurückhaltende Frau war, die er auf der Ranch seiner Eltern kennengelernt hatte. Streng genommen wusste er nicht viel über sie. Dennoch hatte er sie wiedersehen wollen und sich voller Sorge und mit großen Erwartungen auf die Suche nach ihr gemacht.

 

„Warum? Was ist passiert? Geht es Molly gut?“ Sie ignorierte seine Hand und stand ohne seine Hilfe auf. Logan beobachtete, wie sie eilig ihr enges Mieder zurechtrückte, das ihr Dekolleté für seinen Geschmack viel zu sehr betonte. Eben noch waren ihm ihre Kurven unwiderstehlich erschienen, doch nun passte es ihm plötzlich ganz und gar nicht mehr, dass sie ihre Vorzüge für jeden gut sichtbar zur Schau stellte.

 

Logan streckte die Hand aus, um ihr die schwarzen Haarsträhnen aus dem Gesicht zu streichen, doch sie rückte die Perücke bereits selbst zurecht. Zögernd ließ er die Hand wieder sinken.

 

„Nein, es ist alles in Ordnung“, sagte er. „Und Molly geht es gut. Allerdings haben wir Nachricht bekommen, dass Lester erkrankt ist. Daher wollte ich mich vergewissern, dass du wohlauf bist.“

 

„Lester ist krank? Das wusste ich nicht. Er war gesund, als er … mich hier abgesetzt hat. Braucht er einen Arzt?“

 

Logan runzelte die Stirn. Lester hatte behauptet, dass er nicht genau wisse, wo Claire sich aufhalten würde. Vor drei Wochen hätte er sie auf ihren Wunsch vor der Stadt abgesetzt und wäre nach Fort Sumner geritten. Claire hätte ihm glaubhaft versichert, dass ihr Zuhause nicht weit entfernt war und sie die restliche Strecke allein bewältigen könnte. Daher hatte er sie gehen lassen, wenn auch nur widerwillig. Kurz darauf hatte ihn das Fieber befallen, und er hatte es nur mit Mühe und Not nach Fort Sumner geschafft.

 

Ursprünglich hatte Logan Claire selbst nach Las Vegas bringen wollen, aber der Zeitpunkt für ihren Aufbruch war denkbar schlecht gewesen. Der Frühjahrs-Vieh-Treck hatte bevorgestanden, und er hatte seine Pflicht erfüllen und seinen Vater dabei unterstützen müssen.

 

„Nein, es geht ihm schon besser.“ Es war ihm ein Rätsel, warum er einerseits froh war, dass sie sich um Lester sorgte, es ihn aber andererseits auch störte. Die plötzlich in ihm aufkeimende Eifersucht überraschte ihn.

 

Claire musterte ihn zwischen den Strähnen der grauenvollen Perücke hindurch. Ihr Kleid lag so eng an, dass sie es sich zum Ausziehen wohl vom Leib schälen musste. Eine Aufgabe, bei der er ihr gern behilflich wäre.

 

Er fluchte leise und überlegte fieberhaft, wie es nun weitergehen sollte. Die Fakten waren offensichtlich – Claire war eine Dirne. Warum störte ihn das so? Viele Frauen waren gezwungen, sich zu verkaufen, um zu überleben. Aber allein der Gedanke, dass andere Männer sie angefasst hatten, versetzte ihm einen Stich.

 

„Bist du allein hergekommen?“, fragte sie.

 

„Ja. Cale hat mich bis Fort Sumner begleitet, ist aber dann weiter Richtung Arizona-Territorium geritten.“ Cale Walker und er waren zusammen in Texas aufgewachsen, doch seit ihrer Kindheit hatten sie sich kaum noch gesehen. Cale war etwa zur selben Zeit wie Logans Bruder Matt zur Armee gegangen. Vor mehr als einem Jahr hatte Logan seinen Posten als Deputy in Virginia City aufgegeben und war nach Hause zurückgekehrt. Cale, der zu dem Zeitpunkt das Soldatenleben bereits an den Nagel gehängt hatte, war in den Territorien geblieben, um sich als Kopfgeldjäger zu verdingen. Erst als sie vor zwei Monaten erfahren hatten, dass Cale der Halbbruder von Logans Schwägerin Molly war, hatten sich ihre Wege wieder gekreuzt.

 

„Ich hoffe, es geht ihm gut.“

 

Logan nickte.

 

„Du bist den ganzen Weg hierhergekommen, nur um nach mir zu suchen?“

 

„Ich habe mir Sorgen um Lester gemacht.“ Er blickte in ihre wachsamen Augen, die trotz ihrer blonden Haare von erstaunlich dunklen Wimpern umrahmt waren. Er hatte beinahe vergessen, wie liebreizend sie war, wie sehr er die Mahlzeiten auf der Ranch allein wegen ihrer Anwesenheit genossen hatte. „Und um dich habe ich mir auch Sorgen gemacht.“

 

Sie musterte ihn, und ihr perfekt geformter Mund öffnete sich, als wollte sie dazu etwas sagen, ohne genau zu wissen, was.

 

Das laute Gebrüll mehrerer Männer, die sich offenbar beim Kartenspiel stritten, ließ Claire zusammenzucken.

 

„Stimmt etwas nicht?“, fragte Logan.

 

Sie hatte sich eine Hand auf die Brust gelegt und warf ihm einen verwirrten Blick zu. „Nein, wie kommst du darauf? Ich habe es nur wirklich eilig. Es war schön, dich wiederzusehen. Richte Molly bitte liebe Grüße von mir aus.“ Sie rannte an ihm vorbei und verschwand um die nächste Ecke.

 

Logan starrte ihr fassungslos nach.

 

Damit brauchte er gar nicht erst nach Hause zu kommen, Molly würde ihm die Hölle heißmachen, wenn er ihr nur so wenige Informationen lieferte. Allerdings hatte er auch absolut keine Ahnung, wie er ihr Claires derzeitige Situation erklären sollte.

 

Rasch folgte er Claire, blieb jedoch im nächsten Moment wie angewurzelt stehen, als sie zu Pferd hinter dem Saloon wieder auftauchte.

 

„Was treibst du denn da?“, fragte er. „Molly will sicher mehr als nur schöne Grüße von dir hören.“

 

„Ich will nicht unhöflich sein“, sagte sie und bemühte sich, ihren Wallach zu zügeln. Das alte Pferd tänzelte ungeduldig. „Aber eine der Frauen im Saloon ist in Schwierigkeiten, und ich muss Hilfe holen.“

 

„Was für Schwierigkeiten?“ Es wäre nicht das erste Mal, dass er in etwas hineingezogen wurde, aus dem er sich besser herausgehalten hätte.

 

„Sie ist krank. Sie blutet.“ Claires Blick huschte von der Straße zum Saloon. Logan fragte sich, warum sie so besorgt wirkte, dass jemand sie sehen könnte. Und dann war da noch diese abscheuliche Perücke. Sein Instinkt sagte ihm, dass die Frau im Saloon nicht die Einzige war, die sich in einer Notlage befand.

 

„Meine Fähigkeiten reichen nicht aus, um ihr zu helfen“, sagte Claire. „Ich muss jemanden holen.“

 

„Den Arzt?“ Das konnte er gerne für sie erledigen.

 

Claire schüttelte den Kopf. „Der kommt nicht zu uns. Die sind sich alle zu fein. In den Bergen lebt eine Indianerin. Sie wird mir helfen.“

 

„Ich begleite dich.“ Er band Storm los. Die braune Stute wurde trotz des anstrengenden Tagesritts sofort wieder munter.

 

„Musst du nicht“, erwiderte Claire. „Ich war schon oft da.“

 

„So wie du angezogen bist, würde es mich nicht wundern, wenn du Ärger bekommst und wieder auf deinem hübschen Hintern landest. Einmal am Tag reicht, finde ich.“ Er schwang sich auf sein Pferd. „Ich komme mit.“

 

Ganz sicher war Logan sich nicht, aber er glaubte, eine Spur von Dankbarkeit in ihrer Miene zu erkennen, als er sich nicht wegschicken ließ. Sie nickte und gab ihrem Pferd die Sporen. Gemeinsam ritten sie durch die dunklen Gassen jenseits der Pacific Street und dann hinaus in die mondbeschienene Wildnis des Sangre-de-Cristo-Gebirges.

 

* * *

 

Ihr Ziel lag ganz offensichtlich nicht in der Nähe. Schroffe Felsen, hier und da ein Kaktus und jede Menge Kiefern und Kriechwacholder säumten ihren Weg. Logan fiel es schwer, sich im Dunkeln in der gleichförmigen Landschaft zu orientieren und sich markante Wegstellen zu merken. Zweige schlugen ihm gegen Arme und Beine. Ihn selbst störte das wenig, aber er konnte sich vorstellen, wie zerkratzt Claire am Ende ihres hastigen Ritts in die Berge aussehen würde. Ihre spärliche Bekleidung lenkte ihn ab. Ihr offenherziges Kleid war hochgerutscht und gab den Blick auf ihre wohlgeformten Beine frei, die in verführerischen, dunkelroten Strümpfen steckten. Doch sie schien fest entschlossen, sich durch nichts aufhalten zu lassen, und ritt unbeirrt weiter.

 

Logan dachte an seine erste Begegnung mit Claire zurück. Sie war mit Molly Hart zur SR-Ranch gekommen. Mollys Familie war mit seiner befreundet gewesen. Zehn Jahre zuvor hatte es einen Überfall auf die Hart-Ranch gegeben, bei dem Robert und Rosemary Hart ermordet worden waren. Damals hatten alle geglaubt, dass auch Molly getötet worden war. Man hatte den verstümmelten und verbrannten Leichnam eines jungen Mädchens gefunden, daher hatte für Logan und seine Familie kein Zweifel bestanden. Doch das Schicksal hatte Molly verschont. Allerdings war sie den Comanche in die Hände gefallen und hatte viele Jahre bei ihnen gelebt. Als sie nach zehn Jahren endlich heimkehren konnte, hatten Logans Eltern sie wie eine eigene Tochter aufgenommen, und sein Bruder Matt hatte sich Hals über Kopf in sie verliebt. Zu ihrer aller Erstaunen hatte er sogar seinen Job als Texas Ranger an den Nagel gehängt und sie geheiratet. Logan verband Mollys Rückkehr jedoch mit etwas anderem: Mit ihr war auch Claire auf die Ranch gekommen.

 

Molly hatte sich ganz allein im New-Mexico-Territorium Richtung Texas durchgeschlagen, bis sie endlich wieder nach Hause gelangt war. Es war purer Zufall gewesen, dass sie Claire in einer Schlucht in der Wüste außerhalb von Albuquerque entdeckte, wo man die junge Frau halb totgeschlagen zurückgelassen hatte. Molly hatte sich um sie gekümmert und sie mit nach Texas genommen.

 

Das alles erfuhr Logan von Matt, denn Claire hatte ihm während ihrer kurzen Bekanntschaft nichts von sich erzählt, und er selbst wollte keine neugierigen Fragen stellen. Nach ihrer ersten, etwas peinlichen Begegnung überraschte es ihn nicht, dass Claire mit ihm nie richtig warm geworden war.

 

Logans Mutter hatte Claire in der ersten Nacht auf der SR-Ranch in seinem Schlafzimmer untergebracht, weil sie davon ausgegangen war, dass er nicht vor dem nächsten Morgen zurückkehren würde. Er hatte die Rinder auf der Südweide gehütet und sich schon fast auf eine Nacht unter freiem Himmel eingestellt. Als er schließlich mitten in der Nacht nach Hause gekommen war, hatte er sich auf ein weiches Bett und ein herzhaftes Frühstück gefreut. Wie üblich war er splitterfasernackt zu Bett gegangen und hatte dort zu seiner Überraschung den warmen Körper einer Frau vorgefunden. Claire hatte ihn angegriffen wie eine Wildkatze und ihn zu Tode erschreckt. Aber ehrlicherweise musste er eingestehen, dass sie ein größeres Interesse in ihm geweckt hatte als jede andere Frau zuvor.

 

Diese Erinnerung führte zu einem anderen Gedanken. Claires Verhalten in Texas hatte nicht den leisesten Hinweis darauf gegeben, dass sie sich ihren Lebensunterhalt als Hure verdiente. Das gab ihm Rätsel auf. Er beschloss, dem Geheimnis der nunmehr schwarzhaarigen Schönheit auf den Grund gehen, bevor er nach Hause zurückkehrte. Er wollte unbedingt herausfinden, wie das alles zusammenpasste.

 

Claires Perücke verfing sich in einem Zweig und wurde ihr vom Kopf gerissen. Im Vorbeireiten fischte Logan sie herunter. „Hab sie“, sagte er und betrachtete zufrieden Claires blondes Haar, das sie zu einem festen Knoten hochgesteckt hatte. Er wollte es gern offen sehen, nur ein einziges Mal, bevor er nach Hause zurückkehrte. Genau, und die Sonne geht morgen im Westen auf. Er sollte seine Anziehung zu Claire besser auf den Prüfstand stellen und sich nicht von Gefühlen übermannen lassen. Seine ehemalige Verlobte, Dee Griffin, hatte ihm sehr deutlich bewiesen, dass gute Absichten allein nicht ausreichten. Er hatte sich so sehr bemüht, Dee zufriedenzustellen, doch sie hatte ihn einfach sitzen lassen, ohne ein Wort der Erklärung oder auch nur einen Abschiedsgruß. Alles wäre besser gewesen als ihr Schweigen und das feige Verschwinden in die Arme eines anderen Mannes.

 

Die Pferde brachen durch das Unterholz auf eine mit Gras bewachsene Lichtung. Auf der anderen Seite war eine Lehmhütte erkennbar. Rauch stieg aus dem Schornstein auf, und in dem kleinen Fenster flackerte schwach ein Licht. Noch bevor Claires Pferd zum Stehen kam, glitt sie von seinem Rücken. Ihre schicken Stiefel mit den lächerlich hohen Absätzen blieben im Schlamm stecken, und sie schlug mit einem erstickten Laut der Länge nach hin. Noch bevor Logan absteigen und ihr helfen konnte, war sie wieder auf den Beinen und humpelte zur Hütte.

 

„Tia! Bist du da?“ Claire klopfte an die Tür, die im selben Moment aufgerissen wurde, als Logan zu ihr trat. Eine kleine, stämmige Indianerin stand ihnen gegenüber und runzelte die Stirn.

 

„Tia, Gott sei Dank“, sagte Claire atemlos.

 

Die Frau sog scharf die Luft ein. „Palomita? Bist du das? Alle sagen, du bist tot.“

 

Claire nickte. „Ich weiß.“

 

Sichtlich erschüttert legte Tia eine Hand an Claires Wange. „Oh, Kind, ich habe gebetet, dass Sin-o’-Wap deine Seele in die ewigen Jagdgründe bringt. Mein Herz ist von Kummer erfüllt gewesen.“

 

Claire beugte sich vor und umarmte die Frau fest. „Es tut mir leid, dass ich nicht früher zu dir gekommen bin“, flüsterte sie. „Ich hatte Angst, dass Sandoval oder Griffin dir etwas antun, wenn sie mich sehen.“ Sie blickte Tia in die Augen. „Es ist alles so verwirrend, und ich weiß nicht, wem ich trauen kann, aber ich bitte dich, dass du jetzt mit mir kommst. Es ist dringend. Ellie blutet stark, und ich kann die Blutung nicht stoppen.“

 

Bei der Erwähnung des Namens Griffin horchte Logan auf. Auch wenn es weit hergeholt schien, er hatte tage- und wochenlang nach Dee gesucht, nachdem sie ihn verlassen hatte, doch irgendwann hatte sich ihre Spur in Denver verloren. Damals hatte er die Nase gestrichen voll gehabt von Frauen und dem Leben im Allgemeinen. Er war nach Nevada zurückgekehrt, hatte seinen Job als Deputy in Virginia City aufgegeben und sich auf den Weg nach Texas gemacht, wo seine Familie ihn auf der Ranch mit offenen Armen empfangen hatte.

 

„Ihre Frauenblutung?“, fragte Tia.

 

„Ja, aber schlimmer. Viel, viel schlimmer.“ Claire schluchzte auf.

 

, ich komme.“ Bevor sie sich eine große Ledertasche schnappte, kippte Tia etwas Wasser auf die Flamme in dem kleinen Kamin. Es zischte, und eine Rauchfahne kräuselte sich zur Decke. Beim Verlassen der Hütte bemerkte sie Logan. „Und wer bist du?“

 

„Logan Ryan, Ma’am.“ Er tippte sich grüßend an die Hutkrempe.

 

Tia grinste. Trotz der weißen Strähnen in ihren beiden schwarzen Zöpfen und der Falten um die Augen wirkte sie jung und lebensfroh. Sie legte den Kopf in den Nacken. „Du bist sehr groß. Und du passt jetzt also auf Palomita auf?“ Sie nickte und ging weiter, bevor er antworten konnte. „War Zeit, dass jemand aufpasst. War Zeit, dass du kommst.“

 

„So ist das nicht“, protestierte Claire.

 

Tia lächelte. „Nicht für dich vielleicht.“ Sie hielt Logan ihre kleine Hand hin. „Du kannst mich Tia Anita nennen.“

 

Als er ihre Hand umfasste, durchbohrte die Indianerin ihn mit neugierigen Blicken, aber das störte ihn nicht. Er spürte ihre starke Zuneigung zu Claire. „Hast du ein Pferd?“, fragte er.

 

, ist aber sehr langsam.“

 

„Du kannst bei mir mitreiten“, sagte Claire und führte sie zu den beiden Pferden, die hinter ihnen warteten.

 

Tia winkte ab. „Reverend ist zu alt für uns beide. Schau doch, er ist schon müde. Er wird nach Hause schleichen, und wir sind froh, wenn wir übermorgen ankommen.“

 

Logan strich dem Tier über die Nüstern. Reverends graues Fell war zottelig und ungepflegt, aber seine schwarzen Augen waren klar. Es war offensichtlich, dass er solche Anstrengungen nicht gewohnt war, aber er hatte noch immer Feuer im Blut. Das Pferd erwiderte seinen Blick, als ob es ihn einzuschätzen versuche, und ihm kam der Gedanke, dass Tia ihn gerade auf die gleiche Weise gemustert hatte. Anerkennend nickte er.

 

Claire umgab sich offensichtlich gerne mit willensstarken Persönlichkeiten. Vielleicht ließ das ja einen Rückschluss auf ihren eigenen Charakter zu. Genau den wollte Logan gerne näher kennenlernen. Seit ihrer Abreise hatte er oft an sie gedacht, und er war hierhergekommen, um sie wiederzusehen – auch wenn er sich das bis zu diesem Moment nicht hatte eingestehen wollen. Und diese Tatsache bereitete mehr Probleme, als er im Moment gebrauchen konnte. Denn falls er geglaubt hatte, dass er sie bei einer weiteren Begegnung weniger attraktiv, faszinierend und interessant finden würde, hatte er sich getäuscht. Das Gegenteil war der Fall.

 

Und wahrscheinlich war sie eine Hure.

 

Offenbar hatte er ein Talent dafür, sich immer die falschen Frauen auszusuchen.

 

„Claire kann bei mir mitreiten“, sagte Logan und half Tia auf Reverends Rücken. Dann stieg er in Storms Sattel, packte Claires Hand und zog sie hinter sich aufs Pferd. Er nahm die Perücke vom Sattelknauf, drehte sich um und setzte ihr den schwarzen Mopp auf den Kopf.

 

„Danke“, murmelte sie. Ihre Hände berührten seine, als sie versuchte, ihre Verkleidung zurechtzurücken.

 

„Blond steht dir besser.“ Claires verwirrter Blick war ihre einzige Antwort auf das kleine Kompliment und er entlockte Logan ein Lächeln. Ihr Verhalten passte nicht zu einem Saloon-Mädchen. Logan spürte einen Funken Hoffnung in sich aufkeimen, dass nicht alles so war, wie es schien.

 

„Kennst du den Weg?“, fragte Tia.

 

„Ich folge dir.“ Er wollte nicht riskieren, sich zu verirren. Offensichtlich drängte die Zeit für Ellie.

 

„Halt dich fest“, sagte er zu Claire. Er packte ihre Arme und legte sie sich um den Bauch. Allein um ihrer Sicherheit willen, redete er sich ein.

 

Auch wenn er genau wusste, dass das völliger Blödsinn war.